
Schlaganfall. Das musst Du erstmal verarbeiten, ich meine innerlich. Schnell fragt man sich, warum? oder Warum ich? und Wer hat Schuld?
Ich kenne die Trauerphasen von Kübler-Ross genau. Sie haben in meinem Leben schon öfter eine Rolle gespielt; besonders seit dem Tod meiner ersten Frau vor zehn Jahren. Ja es sind Sterbephasen, aber eben auch Trauerphasen. Ich bin jetzt in einer Trauersituation. In Trauer über mich, über mein bisheriges Leben, dass nun ein Ende hat. Alles was jetzt kommt, ist anders; hat andere Ziele und Bedürfnisse.
Und natürlich die Frage, wer hat Schuld? Es sind immer die anderen, ist ja auch einfach. Aber so einfach ist es nicht. Ich weiß das. Aber was sind die Umstände, die zu so einem Ereignis führen, geführt haben. Jeder Mensch erleidet Verletzungen, ich meine nicht die physischen, sondern die psychischen. Man erträgt sie, blockt sie ab, und versucht sie nicht an sich heranzulassen. Und doch schleichen sie sich ins Bewusstsein ein. Es waren zu viele Verletzungen in der vergangenen Zeit, besonders in den ersten Monaten des Jahres bis zum Tag vor meinem ersten Gewitter. Meine Arbeit, die ich sehr gerne mache bzw. ich muss wohl sagen, gerne gemacht hatte, war in den letzten Wochen bestimmt von solchen Verletzungen von Menschen, von denen ich es nicht gedacht hatte. Ich war plötzlich nicht mehr für das Thema zuständig für das ich innerlich brannte, meine fachliche Expertise nicht gefragt, unerwünscht. Ich fühlte, nein ich fühle mich am Boden zerstört. Menschen, auf die ich gehofft habe, haben mich enttäuscht – entweder dadurch, dass sie gegen mich agiert haben oder auf meinen Wunsch nach Unterstützung gar nicht reagiert haben. Und immer die Frage nach dem Warum?
Sollte ich jetzt auf diese Menschen zugehen und sagen: Ihr habt Schuld an meinem Schlaganfall? Sollte ich sagen, der Stress, den ihr mir bereitet habt, hat zum Schlaganfall geführt? Sollte ich mich auf dieselbe Stufe begeben wie sie? Es scheint doch so zu sein, dass die psychische Belastungen der letzten Wochen ein Baustein für die Entstehung meines Schlaganfalls sein könnten.
Wie manch von Euch vielleicht wissen, bin ich kirchlich engagiert und habe einen christlichen Glauben, aus dem ich manchmal meine Kraft ziehe.
In dieser Situation und mit diesen Fragen, ging ich heute Abend in den Raum der Stille des Krankenhauses. Ich nahm das Gesangbuch und schlug eine Seite auf. Ich landete durch Zufall bei dem Psalm 37.
Entrüste dich nicht über die Bösen, sei nicht neidisch auf die Übeltäter. Denn wie das Gras werden sie bald verdorren, und wie das grüne Kraut werden sie verwelken. Hoffe auf den HERRN und tue Gutes, bleibe im Lande und nähre dich redlich. Habe deine Lust am HERRN; der wird dir geben, was dein Herz wünscht. Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen und wird deine Gerechtigkeit heraufführen wie das Licht und dein Recht wie den Mittag. Sei stille dem HERRN und warte auf ihn. Entrüste dich nicht über den, dem es gut geht, der seinen Mutwillen treibt. Steh ab vom Zorn und lass den Grimm, entrüste dich nicht, dass du nicht Unrecht tust. Denn die Bösen werden ausgerottet; die aber des HERRN harren, werden das Land erben.
Ich bin nicht naiv. Ich fühle mich auch nicht gerecht oder besser als andere. Manchmal muss man auch seinen Mund aufmachen, um Dinge zu erreichen. Aber trotzdem ist der Text eine Antwort auf meine Fragen: Ich werde versuchen keinen Zorn und keinen Ärger auf die o.g. Menschen ausüben. Es bringt nichts und zwar besonders mir nicht. Ich würde mich auf dieselbe Stufe stellen wie sie, würde versuchen Ihnen ein schlechtes Gewissen machen. Aber was würde es für mich bringen? Es würde an meiner Situation nichts ändern. Irgendwann, werden sie auf Hilfe angewiesen sein und dann könnte ich antworten oder einfach anders agieren. Und es braucht Zeit und Langmut, um an sein Ziel zu kommen. Vielleicht tun sich ja auch ganz neue Perspektiven auf, die ich vor lauter Zorn und Ärger gar nicht sehen könnte. Ich muss positive Gedanken in mir zulassen. Ich muss sowieso sehen, ob und wenn ja wann und wie ich wieder arbeitsfähig sein werde.
Der Text hat mich heute weitergebracht. Ob es mir gelingen wird, diesen Langmut durchzuhalten, weiß ich nicht. Es wird sicher Tage des Zweifelns geben, aber heute fühle ich mich erstmal mit diesen Worten gut aufgehoben.
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